

Hildesheim, 9. November 2020
Der 9. November – ein Tag der Ambivalenz
Liebe Schülerinnen und Schüler,
der 9. November ist einer der bedeutendsten Tage in der Deutschen Geschichte. Nicht aufgrund eines einzigen, die Geschichte maßgeblich beeinflussenden besonderen Ereignisses, sondern wegen all jener Ereignisse, die an diesem Tage zusammenfallen. Kein Tag steht so sehr für die Ambivalenz der Geschichte des deutschen Volkes: Für seine Hoffnungen, Sehnsüchte und Abgründe.
Dass er und seine Bedeutung auch künftig nicht in Vergessenheit geraten, liegt an uns. Deswegen wollen wir an die drei wichtigsten auf den 9. November fallenden Vorgänge der deutschen Geschichte Erinnern.
Die Novemberrevolution des Jahres 1918
Die Novemberrevolution des Jahres 1918 war der letzte Meilenstein auf dem Wege zum Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918). Ihren Ursprung hat sie im sogenannten – durch den Befehl der Seekriegsleitung vom 24. Oktober 1918, der die Hochseeflotte anwies, trotz der sich deutlich abzeichnender Kriegsniederlage eine letzte „ehrenhafte“ Schlacht gegen die Royal Navy zu führen, ausgelösten – Kieler Matrosenaufstand, welcher sich innerhalb von kurzer Zeit zu einer das ganze Deutsche reich erfassenden Revolution ausweitete, welche am 9. November zum Sturz der Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte. In der Folge übernahmen die Sozialdemokraten (SPD bzw. MSPD) die Regierung. Das Deutsche Reich schloss am 11. November den Waffenstillstand von Compiégne, der den Ersten Weltkrieg faktisch, und am 28. Juni den Vertrag von Versailles, welcher den Ersten Weltkrieg rechtlich beendete.
Die Reichspogromnacht des Jahres 1938
Allerdings schuf der Friedensvertrag weder politischen noch gesellschaftlichen Frieden innerhalb der europäischen Staaten. In Deutschland kamen im Januar des Jahres 1933 die totalitären Nationalsozialisten an die Macht, die Deutschland, Europa und weite Teile der Welt mit dem, von ihnen 1939 entfesselten, Zweiten Weltkrieg, der von den Nationalsozialisten als Vernichtungskrieg geplant und geführt wurde, in den Abgrund zogen. Schon kurz nach der Machtergreifung, im April 1933, begann die systematische Diskriminierung der Juden durch den sogenannten „Judenboykott“ – die Deutschen wurden dazu aufgefordert, nicht mehr bei Juden zu kaufen, ihre Geschäfte waren Übergriffen der Nazis ausgesetzt – und das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das jüdische Beamte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen vorsah. 1935 wurden die Nürnberger Gesetze erlassen, welche im nationalsozialistischen Sinne definierten, wer Jude war und die Bürgerrechte der jüdischen Deutschen stark einschränkten. Zu Beginn des Jahres wurde die Diskriminierung intensiviert: Juden wurden enteignet, nicht mehr zu akademischen Heilberufen (z.B. Arzt) zugelassen, bekamen einen „Judenstempel“ in ihren Pass, mussten ihr Vermögen „anmelden“ und, sollte sich ihr Vor- und Zuname „nicht jüdisch genug“ anhören, vom NS-Regime als „typisch jüdisch“ betrachtete Namen annehmen. Die Diskriminierung des Jahres 1938, dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erreichten am 9. November 1938 ihren Höhepunkt, als die Ermordung des Diplomaten Ernst vom Rath durch den Juden Herschel Grynszpan als Vorwand genutzt wurde, um Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung stattfanden. Zuvor waren 15.000 Juden gewaltsam nach Polen umgesiedelt worden, Grynszpan war einer der Betroffenen. War das Vorgehen des NS-Regimes gegen die jüdische Bevölkerung zuvor noch überwiegend gewaltfreier Natur, begann mit den Pogromen die umfassende aggressiv-gewaltsame Diskriminierung: Etwa 400 Menschen wurden ermordet, mehr als 1.400 Synagogen, jüdische Versammlungsräume und Friedhöfe zerstört. Tausende Juden wurden in Konzentrationslagern interniert, misshandelt, gedemütigt und teilweise (zu Tode) gequält. Anschließend mussten die Opfer Kosten der Schäden der Reichspogromnacht tragen. Wenig später wurden Juden de facto enteignet. Im Jahre 1941 wurde die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen, fortan war es der jüdischen Bevölkerung verboten auszureisen; stattdessen begann ihre systematische Tötung, der Holocaust, der etwa 6.000.000 Millionen Menschen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Ethnie – Männern, Frauen, Alten, Kindern, Kleinkindern, Babies – das Leben kostete.
Der Mauerfall des Jahres 1989
Nachdem der NS-Staat den Zweiten Weltkrieg 1945 verloren hatte, wurde Deutschland geteilt, 1949 wurden zwei deutsche Staaten gegründet, deren Existenz die damalige globale Spaltung manifestieren. Der „Westen“ (geführt von den USA) und der „Osten“ (geführt von der Sowjetunion) standen sich während der nächsten Jahre unversöhnlich gegenüber und drohten sich mit nuklearer Vernichtung (Kalter Krieg). Im Westen wurde mit der Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie begründet; in diesem Teil Deutschlands herrschten (und herrschen) Recht, Freiheit und soziale Marktwirtschaft. Die Bundesrepublik wurde Teil der westlichen Staaten- und Wertegemeinschaft, dem Militärbündnis NATO und der Euröpäischen Gemeinschaft, einem Vorläufer der Europäischen Union. Im Osten hingegen wurde ein Staat geschaffen, der sich zwar Deutsche Demokratische Republik (DDR) nannte, tatsächlich aber eine totalitäre, sozialistisch-kommunistische Diktatur, ein Satellitenstaat, ein Untergebener der Sowjetunion war und von dieser beherrscht wurde. Als solcher war die DDR Teil des kommunistischen (Zwangs-)Militärbündnisses, das ebenfalls von der Sowjetunion dominiert wurde. Aufgrund der schlechten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Osten Deutschlands verließen viele dort Ansässige Deutsche die DDR und gingen nach Westdeutschland. Um die weitere Bevölkerungsabwanderung zu verhindern, begann das Regime der DDR seine Bürger ab 1961 mit dem Bau der „Berliner Mauer“ einzusperren. Die Grenzen zum Westen wurden geschlossen, der „Eiserne Vorhang“ trennte zukünftig Ost und West; um die Flucht der Bürger der DDR in die Bundesrepublik zu verhindern, ließ die DDR an Grenzübergängen auf Flüchtlinge schießen, das Ministerium für Staatssicherheit terrorisierte derweil die Bevölkerung. Als in den 1980er Jahren die Macht der kommunistischen Staaten durch jahrelange Misswirtschaft und Unzufriedenheit der Bevölkerung schwand, erhoben sich die Bürger dieser Staaten wieder gegen ihre Unterdrücker. Auch und vor allem in der DDR kam des zu Protesten und Demonstrationen. Der starke politische Druck auf das Regime der DDR führte schließlich, am 9. November 1989, zur Grenzöffnung, zum Mauerfall und leitete das Ende des kalten Krieges ein. Die DDR trat 1990 der Bundesrepublik Deutschland bei, die Mehrzahl der ehemals kommunistischen Staaten konnte sind heute Demokratien, weswegen wir das Privileg genießen, in einem geeinten Deutschland und einem vereinten Europa zu leben.
Mit freundlichen Grüßen, eure Schülersprecher
Luca Itau & Lukas Fichtner