von Lisa Schinkel
Die muslimische Rechtswissenschaftlerin Rumeysa Koç und der jüdische Rabbi Gabor Lengyel besuchten in den letzten Wochen alle Klassen des 10. Jahrgangs, um mit den Schüler:innen die Stärken der Demokratie zu ergründen. Ihr Projekt "Tandem - interreligiös/ interkulturell" ist ein Projekt für Demokratiebildung - gegen Rassismus, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus - und zwar ein ganz besonderes. Denn "eine Umarmung zwischen einer Muslima und einem Juden ist nicht selbstverständlich", hob Gabor Lengyel gleich zu Beginn die Bedeutung gerade dieser Zusammenarbeit hervor. Insbesondere aufgrund der Situation in Israel und Palästina ist das Verhältnis zwischen jüdischen und muslimischen Menschen oftmals geprägt von Wut und Vorurteilen. Aber um Israel und Palästina sollte es in diesem Workshop gar nicht so sehr gehen, stellten Frau Koç und Herr Lengyel gleich klar, auch sie hätten keine einfache Lösung dafür parat. Vielmehr wollten sie den Jugendlichen zeigen, wie eine Streitkultur in der Demokratie funktionieren kann. Das traf bei den Schüler:innen auf offene Ohren. "Wir als eine Gesellschaft müssen lernen, nicht zu vorverurteilen und stattdessen lernen, wie wir miteinander leben können trotz Differenzen. Dieser Workshop hat das gut gezeigt. Vor allem mit der Dynamik Jude und Muslima, da vor allem dort viele Vorurteile zum Vorschein kommen." Das findet Ali aus der 10.6. Er ist selbst Muslim und seine Eltern stammen aus dem Libanon. Ja, darum ging es. Um das Überwinden von Vorurteilen und das miteinander Leben trotz Meinungsverschiedenheiten. Denn Meinungsfreiheit ist ein wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie. Sie bedeutet, dass wir unsere Meinung sagen dürfen. Sie bedeutet aber auch, dass wir eine andere Meinung nicht teilen müssen. Wir dürfen streiten. Streiten ist nicht schlecht für die Demokratie, Streiten ist gut. Aber es will gelernt sein. Mit kleinen Übungen aktivierten Frau Koç und Herr Lengyel die Schüler:innen, es einmal selbst mit dem Streiten zu versuchen. Sie sollten zum Beispiel Pro- und Kontra-Argumente zu mehr oder weniger kontroversen Aussagen und Situationen erarbeiten und so in eine Diskussion über gesellschaftliche Tabus finden. Das klappte mal mehr und mal weniger gut. Denn eins wurde schnell klar: Streiten muss man üben. Das stellte auch Heja aus der 10.4. fest. "Ich merkte, wie die beiden versuchten Diskussionen zwischen uns, den Schüler:innen, zu zünden. Jedoch fand ich, kam es leider nie zu solchen bedeutungsvollen Gesprächen. Trotz dessen hat es mir, einer Atheistin, sehr gefallen, offen über religiöse Diskrimierung sprechen zu können." Heja schätzte sehr den druckfreien Lernraum und die Vielseitigkeit des Workshops: "Das Tandem Projekt war meiner Meinung nach, eine komplett andere, schulferne Lernmöglichkeit. Zu allererst wurde uns klargemacht: „Das ist keine Prüfungssituation. Du bekommst hier keine Note.“ So etwas von zwei (aus meiner Sicht) älteren Menschen in einem Lern-Setting zu hören, war total befreiend. Wir sprachen über das gemeinsame Zusammenleben von Muslimen und Jüd:innen in einem Raum und über den leider immer noch herrschenden Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Ich habe neue Dinge über beide Religionen lernen können. Gabor Lengyel und Rumeysa Koç verkörpern das friedliche Zusammenleben zwischen verschiedenen kulturellen und religiösen Gruppen." Marlene aus der 10.6 fand es besonders gut, Streitthemen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: "Aus dem Projekt habe ich vor allem mitgenommen, dass man sich, um eine eigene Meinung zu bilden, immer sowohl die Pro- als auch die Kontra-Argumente ansehen sollte. Nur so kann man seine eigene Meinung überzeugend und vor allem sachlich vertreten, genau das führt zu einer erfolgreichen Diskussion." Die Botschaft von Herrn Lengyel und Frau Koç ist also angekommen. "Auch wenn es euch nicht passt, was andere Menschen machen. Versucht immer zu verstehen, warum sie das machen", plädierte Frau Koç für den notwendigen Perspektivwechsel in einer respektvollen Diskussion. Man muss sich nicht einig sein über Religion und Politik, aber man muss einander zuhören. Diese Botschaft trifft an der RBG auf eine Vielfalt an Kulturen, Religionen und Meinungen. Denn das Leben wir als UNESCO-Schule jeden Tag - Vielfalt. Marlene und Heja sind beide nicht religiös, Marlene hat deutsche Wurzeln, Heja kurdische, Ali ist Muslim und seine Eltern stammen aus dem Libanon. Die drei werden sich nicht über alles einig sein. Aber das ist gut so. Das ist Vielfalt. Aber vielleicht streiten sie jetzt ein bisschen bewusster. Und diese Botschaft ist besonders eindrucksvoll, wenn sie von einer Muslima und einem Juden gemeinsam kommt. Und das war auch das Mindeste, was Gabor Lengyel und Rumeysa Koç uns zeigen wollten. Es geht sehr gut: Ein Jude und eine Muslima umarmen sich.




