Vorwort
Von Prof. Dr. Peter Fauser (Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises)
Die Erinnerung an meinen ersten Besuch an der Robert-Bosch-Gesamtschule als Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises im Sommer 2007 zeigt mir Szenen voller vitaler Vielfalt. Ich sehe mich mit dem Schulleitungsteam und den Jurykollegen um einen großen Tisch sitzen. Fast alle gehören meiner Generation an, haben also vielleicht dreißig Berufsjahre hinter sich. Alte Hasen. Viele Lehrerinnen und Lehrer dieser Generation leiden an ihrem Beruf, erkranken an Burnout, an seelischer Verausgabung bei einer Arbeit, die immer schwieriger wird, weil die Gesellschaft immer mehr von den menschlichen Kosten der globalen Moderne auf die Jüngeren und auf die Schule abwälzt. Von einer solchen Erschöpfung spüre ich überhaupt nichts. Hier scheinen alle die „zweite Luft“ zu haben. Pädagogische Leidenschaft und alltagsgeprüfte Professionalität, selbstbewusste Argumentation und unbefangene Offenheit, beeindruckendes Wissen und Neugier machen das Gespräch leicht und reich. Es macht keinem etwas aus, auch nicht dem Schulleiter, bei einer Frage zu sagen: „Das weiß ich nicht, das müssen Sie den Kollegen fragen.“ Die Vorstellung vom allwissenden, alles lenkenden Schulleiter, ein deutsches Relikt aus obrigkeitlichem Geist, ist hier längst in der Mottenkiste verschwunden. Der kritische Geist der 68er-Generation hat hier im Durchgang durch schwierige Aufgaben und schwierige Zeiten zu neuer Kraft gefunden – erfahrene Aufklärung gewissermaßen. Man macht kein Hehl aus den emanzipatorischen Idealen der Pädagogik, die man vertritt, und lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass diese Ideale nach wie vor gelten. Aber sie haben sich mit einem unternehmerischen Realismus und einer fachlichen Selbstdisziplin im Interesse der Heranwachsenden verbunden, die ihresgleichen suchen. Die Schule hat keine Angst vor Konkurrenz.
Selbstverständlich, dass die Ergebnisse und Qualitäten der Schule und des Lernens durch unterschiedliche Verfahren objektiv gemessen und selbstkritisch bedacht werden. Der demokratisch-integrative Führungsstil an dieser Schule war mein erster starker Eindruck. Was ist das? Es gilt als Grundlage erfolgreicher Schulentwicklung, dass die Schulleitung eine Schlüsselfunktion hat. Das wird bei den für den Deutschen Schulpreis vorgeschlagenen Schulen eindrucksvoll bestätigt. Viele der Schulleiterinnen und Schulleiter verfügen über das, was man als „Leadership“ bezeichnet: die Fähigkeit, Ziele überzeugend zu vertreten, andere mitzunehmen und zu begeistern, Platzhalter für die Ideale, aber auch für die hartnäckige Bearbeitung hartnäckiger Probleme zu sein. Freilich: Nicht weniger eindrucksvoll ist das professionelle Niveau beruflichen Wissens, Könnens und Handelns, die pro-aktive Kollegialität, Kooperationsfähigkeit und Kontaktfreude. Schulen können heute ihre komplexen Aufgaben nicht wirklich gut bewältigen, wenn sie nicht durch ein demokratisches und zugleich zielorientiertes Führungsmanagement in der Breite mobilisiert und ermutigt werden.
Ein zweites Bild zeigt mich im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen, gewählte Schülervertreter, die mir von ihrer Schule erzählen. Gleich zu Beginn überreichen sie mir eine Liste mit 35 Punkten: „Dinge, die die RBG ausmachen (Alltägliches und besondere Events)“. Sie reichen von „1. zwei Klassenlehrer“ über „4. Schulzoo“, „17. UNESCO-Brunnen-Café“, „18. Ostseeprojekt“ und „27. Raum der Stille“ oder „32. Demonstration gegen Nazis“ bis „35. Behindertenarbeit, Altenpflege“. Die Kleineren und die Großen kennen ihre Schule und bleiben keine Antwort schuldig.
Zu meinem Panorama von dieser Schule gehören nicht nur die Gespräche außerhalb dessen, was wir Unterricht nennen, sondern auch viele Unterrichtssituationen: Biologieunterricht, Thema tropischer Regenwald, in der Oberstufe, bei dem Schülerinnen und Schüler mit ihrer Lehrerin wie eine Forschergruppe zusammenarbeiten, konzentriert auf die Problemstellung, streng bei der wechselseitigen Kontrolle der Ergebnisse und Argumente, kollegial anerkennend im Umgang. Bei der Bläserklasse imponiert mir die Selbstverständlichkeit und musikalische Präzision, mit der Fünftklässler dem Dirigenten assistieren und dabei lernen, über ihr eigenes Instrument hinauszuhören und ihre Eindrücke und Vorstellungen vom Klang in Worte zu fassen und anderen mitzuteilen. Zwei Schülerinnen berichten, dass sie im Foyer des städtischen Hallenbads eine große Wand künstlerisch gestalten. Genauso selbstverständlich erscheint es, dass die Mensa in einem Wettbewerb von Studenten gestaltet worden ist, dass es seit Jahren ökologische Projekte gibt – in der näheren und weiteren Umgebung der Schule, dass ein Blockheizkraftwerk umweltverträglich Wärme liefert, die Schülerinnen und Schüler jährlich einen öffentlichen Pogrom-Gedenkmarsch veranstalten. Die Schule ist UNESCO-Schule. Man spürt, dass es hier ein Bewusstsein dafür gibt, dass die Weltgesellschaft immer mehr eine Welt-Wissensgesellschaft wird und dass wir auch ein Weltethos brauchen, einen demokratischen und ökologischen Geist, der die Achtung und Selbstachtung der Menschen öffnet im Verhältnis zu fremden Völkern und Kulturen und zur außermenschlichen Natur.
Die Schülerinnen und Schüler und die Schule haben schon viele Preise errungen. Der Deutsche Schulpreis ragt dabei besonders heraus. Warum? Wer ihn gewinnen will, muss sich auf eine pädagogische Vielseitigkeitsprüfung einlassen. Alle für das Lernen wichtigen Bereiche – Leistung, Unterricht, Umgang mit Vielfalt, Verantwortung, Schulleben und Schulentwicklung – werden analysiert, eine international besetzte Jury vergleicht die Bewerbungen, und wer nominiert wird, bekommt Besuch von einer genau vorbereiteten Expertengruppe. Die Konkurrenz ist stark, und so viel ist sicher: Alle Schulen, die die Nominierung schaffen, sind unserer pädagogischen „Normalzeit“ voraus: Sie haben den großen Perspektivwechsel vom Lehren zum Lernen geschafft; sie wissen, dass es um Inklusion geht: alle mitnehmen, niemand verlieren; um Transparenz: Klarheit und Partizipation bei der Planung, der Arbeit, der Rechenschaftslegung; und dass gute Schulen nicht zuletzt durch Kunst, Musik, Theater, Feiern, durch öffentliches Lob ein Klima der Lernfreude und Lebenszuversicht kultivieren können, in der Kleine und Große immer wieder die Erfahrung machen können, dass es auf jeden von uns ankommt.
Es ist sehr wichtig, dass diese Schule ihre Erfahrungen und Einsichten in einem Buch darstellt. In einem Buch: in der verbindlichsten, würdigsten Form, die unsere Kultur hervorgebracht hat. Es ist Zeugnis, Rechenschaft. Reisebericht, Arbeitsmittel, Werkzeugkasten für Praxis und Wissenschaft.
Ich wünsche ihm den Weg in viele Hände, Köpfe und Herzen, als Beitrag zu unserer wichtigsten Aufgabe für die Zukunft.